Vorwort: Von allen Artikeln der Serie „Im Namen des Herrn“ ist dieser definitiv der härteste, schonungsloseste und brutalste. Es werden (bewusst) einige Szenen geschildert, die nichts für schwache Nerven sind. Ich empfehle deswegen gerade jüngeren Lesern, oder diejenigen, die Ähnliches erleben mussten, diesen Artikel nicht zu lesen.
Der Beginn des Skandals
Es ist wohl das Thema, welches die katholische Kirche seit Jahrzehnten am stärksten beschäftigt und ihr am meisten Probleme bereitet hat: Der sexuelle Missbrauch von bis zu 330.000 Kindern seit den 1950er Jahren durch Priester, Pfarrer, Ordensleute und anderen Geistlichen. Betroffene haben oft noch Jahre später mit den Folgen ihrer Misshandlung zu kämpfen, die grausamen Taten führen häufig zu Traumata, Verdrängung und Depressionen, weswegen es ihnen nicht einfach fällt, über dieses Thema zu reden. Daher kam der Skandal auch erst langsam in den 1990er Jahren auf, als sich erste Opfer trauten, über die Verbrechen, die ihnen angetan wurden, zu sprechen. Damals erhielt das Thema allerdings kaum mediale Aufmerksamkeit, das änderte sich speziell in Deutschland erst 2010 durch einen Artikel der „Berliner Morgenpost“, welcher über den Missbrauch an einer Ordensschule aufklärte und zahlreiche bereits bekannte Skandale erneut aufgriff. Dieser Artikel löste ein gewaltiges Medienecho aus und immer mehr Opfer der Misshandlung erinnerten sich wieder zurück. Besonders ehemalige Schüler von Internaten oder Ordensschulen gehörten zu den Betroffenen.
Das Haus Maffei
Dort soll es zu grausamen Szenen gekommen sein, beispielsweise in dem Feldafinger Kinderheim „Haus Maffei“, in der unmittelbaren Nähe Münchens, eines der absolut extremen Beispiele. In den 1960er Jahren wurden dort rund 80 Heimkinder von den Mitarbeitern des Heims im Untergeschoss eingesperrt, gefoltert und vergewaltigt, teilweise vom Dorfpfarrer Otto Oehler selbst. Dieser hatte direkt nach der Einweihung der örtlichen Kirche angefangen, Kinder an Pfarrer rund um den Starnberger See zu verteilen. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um ein organisiertes System gehandelt hatte, nach welchem sich die Geistlichen für Kinder „entscheiden“ konnten und diese dann zu ihnen gebracht und sexuell missbraucht wurden. Die Opfer trauten sich nicht zu reden, ihnen wurde mit Schlägen gedroht, die Vergewaltigung als „Teil der Liebe“ erklärt und man sagte den Kindern, sie kämen in die Hölle und müssten ewige Qualen erleiden, wenn sie jemandem davon erzählten. Diese Vermischung von sexuellem Missbrauch und Religion bezeichnet man als rituellen Missbrauch, er wirkt gerade auf Kinder natürlich besonders traumatisierend. Daher ist es wenig verwunderlich, dass das dunkle Geheimnis jahrelang ungelüftet blieb und der Pfarrer Otto Oehler weiterhin als beliebt und angesehen galt, bis er 1991 starb, ohne für seine Verbrechen (weltlich) verurteilt zu werden. Bis heute befindet man sich in der Aufarbeitung dieses Falles, die Opfer sind auf der Suche nach ihren Peinigern. Allerdings steht eine persönliche Entschuldigung der Täter immer noch aus, auch da die meisten bereits verstorben sind, oder ihre Verbrechen verjährt sind.
Folgen für die Opfer
Die katholische Kirche gab vier der Opfer 20.000 Euro Entschädigung, was für Empörung sorgte, weil diese Summe viel zu gering sei, um als echte Entschädigung angesehen werden zu können. Die Missbrauchten kämpfen bis zum heutigen Tag mit der Verdrängung ihrer Erlebnisse, welche häufig zu Depressionen führt, da sie die immer noch ungelösten Traumata der Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben, ihnen verboten wurde, damals mit jemandem darüber zu sprechen. Die Misshandlung kann auch zu gestörten Sexualvorstellungen und einem gestörten Verhältnis zu dem eigenen Körper und dem eigenen Selbstwertgefühl führen. Ebenso ist es möglich, dass Opfer Angst vor gewissen Zuständen oder Orten entwickeln, die sie erleben mussten, als sie missbraucht wurden. Dazu können zum Beispiel Ängste vor engen und dunklen Räumlichkeiten, oder auch vor dem Gefühl der Hilfslosigkeit gehören. Diesen Menschen werden viele Möglichkeiten genommen, ihnen ist es nicht möglich, ein „normales“ Leben zu führen, sie haben Probleme mit emotionaler Stabilität und sie können sich oft emotional nicht öffnen. Diese Störungen sind auch nichts, was die Opfer irgendwann nach genug Therapiestunden oder Aufarbeitung wieder ablegen können, nein, diese Störungen beschäftigen sie dauerhaft. Sie können nicht mit dem Erlebten abschließen, erst recht nicht, wenn sie sehen, wie unzureichend mit ihren Fällen umgegangen wird, wie wenig sich ändert, und wie viele Straftäter ungestraft davonkommen/davongekommen sind.
Ursachen und Umgang
Die Geschichte der Kinder vom „Haus Maffei“ ist definitiv kein Einzelfall, natürlich nicht nur in der katholischen Kirche, aber gerade in einer religiösen Organisation sind diese Vorfälle extrem grausam und doppelmoralisch. Der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche ist nicht nur ein deutschlandweites Problem, sondern er betrifft eigentlich jedes Bistum weltweit. Das wirft Fragen auf: Warum können so viele Täter ungestraft davonkommen? Wie werden die Opfer entschädigt? Wie geht die Kirche überhaupt damit um? Und wieso sind es so unfassbar viele Opfer und Täter? Nun, der Großteil der Täter ist bis heute ungestraft, da sie entweder tot oder ihre Verbrechen bereits verjährt sind. Auch kam es häufig vor, das Verbrechen der Geistlichen der katholischen Kirche zwar bekannt waren, allerdings systematisch vertuscht und nicht an staatliche Behörden weitergereicht wurden. Aktuell gibt es sogar Vorwürfe, dass Papst Benedikt XVI von mehreren Fällen sexuellen Missbrauchs wusste, allerdings ohne die Täter kirchenrechtlich zu verfolgen. Unter diesen Vorwürfen ist auch der besonders brisante Fall des Priesters Peter H, der in den 1980er Jahren in München, wo (Papst) Ratzinger damals Kardinal war, als Seelsorger eingesetzt wurde, nachdem er zuvor in Essen bereits als Pädophiler verurteilt worden war. Danach beging er in München weitere Missbrauchstaten, Ratzinger gibt heute an, nichts von dessen Vorgeschichte gewusst zu haben. Generell sehen viele den Umgang der katholischen Kirche mit dem Missbrauchsskandal als mehr als fragwürdig an, da immer wieder neue Studien von offensichtlichen Straftaten berichten, die aber ungestraft blieben oder unter den Teppich gekehrt wurden. Gleichzeitig kündigt der Vatikan immer wieder große Veränderung im Umgang damit an, trotzdem passiert, gerade den Betroffenen, immer noch zu wenig.
Auch der Umgang mit den Opfern wird als kritisch angesehen, da die ausgezahlten Entschädigungssummen gerade in Deutschland im internationalen Vergleich viel zu gering sind. Die Zahlungen in Deutschland sehen 10.000-50.000 Euro vor, im Vergleich: In Irland werden den Opfern durchschnittlich 62.000 Euro Entschädigungssumme gegeben, in den USA sogar 235.000 US-Dollar pro Person.
Aber besonders die Frage nach der ungeheuren Menge an Vorfällen ist äußerst brisant, denn man vermutet, dass gerade die Diözese, also das Verbot von sexuellem Kontakt zu anderen Menschen bei Geistlichen, Grund für die enorme Tätermenge sein könnte. Über die Jahre ist es ja nur menschlich, dass sich sexuelle Bedürfnisse aufstauen, allerdings dürfen diese keinesfalls an kleinen Kindern ausgelebt werden, niemals. Und natürlich errechnet sich diese Zahl von 330.000 Missbrauchten Kindern auch aus den letzten 70 Jahren und gilt für sämtliche Bistümer. Dabei ist ja trotzdem jeder Fall schon einer zu viel.
von Marius Menschick
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