Der Fall Woelki [Teil 1]

„Nos sumus testis“- Wir sind Zeugen. Das ist der Wappenspruch von Rainer Maria Woelki, Kardinal von Köln. Kein Name ist wohl in letzter Zeit in Diskussionen über die katholische Kirche in Deutschland häufiger gefallen als seiner. Für viele als Sinnbild dieser Kirche in Deutschland war er selbst Zeuge, wie sein Ruf für viele Leute durch zahllose Skandale in den Keller ging, bis sich Papst Franziskus, das irdische Oberhaupt einer ganzen Religion, selbst um ihn kümmern musste. Ohne Zweifel könnte das für die katholische Kirche in Deutschland noch weitaus größere Folgen haben als bisher angenommen…

Kardinal Woelkis Name fällt seit geraumer Zeit wohl nur noch vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals im Erzbischofstum Köln und außerdem im Zusammenhang mit geheimnisvollen Dokumenten: Den Missbrauchs-Akten.

Doch zurück zum Anfang. Der Missbrauchsskandal rund um die katholische Kirche ist ein seit Jahren bekanntes und sich immer weiter entwickelndes Problem, das auch innerhalb dieser Serie noch einmal näher behandelt werden wird. Immer mehr Menschen melden sich, sprechen über sexuelle Misshandlung innerhalb der katholischen Kirche und fordern nun Gerechtigkeit. Diese Vorfälle haben viele Gläubigen bis ins Mark erschüttert, wenig verwunderlich ist also, dass dieses Thema in der katholischen Kirche aktuell so einen hohen Stellenwert hat. 2018 kündigte der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Woelki (damals 62), im „Domradio“ an, über die Missbrauchsvorwürfe aufzuklären, Zitat: „Unser Kölner Erzbistum wird sich der Wahrheit stellen, auch dann, wenn diese schmerzlich ist. Und dazu gehört es ungeschönt, und ohne falsche Rücksichten aufzuklären.“

Ende 2019 gründete Woelki einen Rat aus zehn ehemals misshandelten Mitgliedern, nachdem zuvor die sogenannte MHG Studie veröffentlicht wurde: Die Zahlen waren erschütternd!

Deutschlandweit hätten 1670 Geistliche über 3600 Jugendliche missbraucht, dabei wurden die mindestens 1400 Kinder, die außerdem von Ordensleuten missbraucht worden waren, in dieser Studie noch nicht einmal berücksichtigt.

Dieser Rat sollte sich um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Kölner Erzbistum kümmern und wurde von vielen Gläubigen durchaus begrüßt, da er eben nur aus ehemaligen Opfern der sexuellen Misshandlung bestand; Individuen, die das alles persönlich erleben mussten und denen man deswegen eine emotionale Bindung zu diesem Thema zurechnete. Zum ersten Mal wirkte es für viele so, als sei das Erzbistum wirklich daran interessiert dieses Problem ernsthaft aufzuarbeiten.

Hinzu kam, dass nun einer externen Kanzlei aus München Einblicke in spezielle Akten gewährt wurden, in denen die bisher gänzlich unbekannten Verbrechen der sexuellen Misshandlung dargelegt wurden, samt Täter und den Personen hinter den Tätern, die dafür sorgten, das diese nach ihren Handlungen höchstens versetzt wurden und somit einen direkten Anteil an der Vertuschung dieser Verbrechen hatten.

2020 blickte man dann dementsprechend erwartungsvoll dem Termin der Veröffentlichung und der dazugehörigen Pressekonferenz dieser Untersuchung entgegen, endlich sollte nun die Wahrheit ans Licht kommen und den Opfern und Tätern Gerechtigkeit und Vergeltung wiederfahren. Zwei Tage vorher sagte die katholische Kirche ab.

Man müsse die Studie nur nochmal von weiteren Juristen prüfen, der Termin sei nur verschoben.

Zwei Monate später erst traf sich Kardinal Woelki wieder mir dem Betroffenenrat und wiederholte sein Versprechen die Misshandlung weiter aufzuarbeiten. Doch die Veröffentlichung rückte ersteinmal wieder in weiter Ferne. Dafür setzte sich der Betroffenenrat ein neues Ziel, finanzielle Entschädigung für die Opfer: Der Bischofskommision wurden dafür Summen in Höhe von 400.000 Euro empfohlen, jedoch war sie anfangs nur dazu bereit jedem Opfer eine Summe in Höhe von 50.000 Euro zu geben. Deswegen wandte sich der Bertroffenenbeirat in einem Brief an Kardinal Woelki, in der Hoffnung dieser würde ihr Anliegen bei der Bischofskonferenz darlegen. Doch auch dieses Mal wurden sie enttäuscht, der Kardinal machte sich öffentlich nicht für ihre Forderungen stark, und somit blieb am Ende die Summe bei 50.000 Euro. Diese Zahl mag viele nur umso empörter gemacht haben, da nun vor kurzem weitere Details zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Von dem Gesamtvermögen der katholischen Kirche in Deutschland, das übrigens auf über 200 Milliarden Euro geschätzt wird, wurden in den letzten drei Jahren 2,8 Million Euro für Gutachter, Medienanwälte und Kommunikationsberater ausgegeben, während die Entschädigung der Opfer des Missbrauchsskandals die katholische Kirche seit 2010 nur 1,5 Million Euro kostete. Das heißt das fast doppelt so viel Geld für die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals ausgegeben wurde, als für die Entschädigung der Opfer selbst.

Jedoch gab es bald bereits wieder neuen Gesprächsstoff für den Betroffenenbeirat, denn urplötzlich wurde dieser vom Erzbistum um Rainer Maria Woelki zu einem außerplanmäßigen Treffen eingeladen, in dem offenbart werden sollte, wie es mit der Münchner Studie zu den Missbrauchsvorfällen weitergehen sollte. Patrick Bauer, einer der beiden Leiter des Beirats ging zunächst davon aus darüber informiert zu werden, wann diese Studie nun veröffentlicht werden würde.

Doch dann der Schock: Kardinal Woelki offenbarte, dass die eigens von ihm angesetzte Studie nicht mehr veröffentlicht werden sollte. Stattdessen gab es nun ein Gegengutachten, in dem die Münchner Studie scharf kritisiert wurde, sie sei nicht gerichtsfähig und „verfehle die Mindeststandarts einer juristischen Begutachtung in mehrfacher Hinsicht“.

Daraufhin musste der Betroffenenbeirat, ohne die Münchner Studie zuvor gesehen zu haben, schnell eine Entscheidung treffen, die umstrittenerweise zugunsten des Bistums ausfiel. Die Münchner Studie blieb unveröffentlicht.

Daraufhin fiel es dem Bistum einfach jeden Vorwurf der Vertuschung mithilfe der Absegnung des Betroffenenbeirats vom Tisch zu wischen. Dabei ist zudem auffällig das Kardinal Woelki bereits vor dem Zusammentreffen des Beirats eine neue Studie angesetzt hatte.

Die Einschätzung des Kirchenrechtler Thomas Schiller besagt dazu: „Die Betroffenen werden benutzt, instrumentalisiert um das politische Ziel zu erreichen eine nicht genehme Veröffentlichung der Studie zu verhindern.“

Diese umstrittene Aktion des Bistums löste eine wahre Welle von Kirchenaustritten aus, sodass im Februar 2021 sogar der Server zusammenbrach und Termine bereits Monate im Voraus vergeben waren.

Umso härter schlugen daraufhin auch die Vorwürfe ein, dass Kardinal Woelki selbst bei der Vertuschung teilgenommen habe, indem er Akten, die den befreundeten Pfarrer Johannes O., der in den 70ern ein Kindergartenkind missbraucht haben soll, schwer belasteten, nicht untersucht haben soll. Die Begründung des Kardinals dazu war, dass der Pfarrer bereits schwer krank war, dennoch habe Woelki, laut Thomas Schiller, in diesem Fall gar keinen rechtlichen Spielraum und hätte diese Akten untersuchen lassen müssen.

Allerdings stellte eine Kanzlei im März 2021 Ergebnisse vor, die auch durchaus für den Kardinal Woelki sprachen, da er laut diesen Auswertungen keine einzige Pflichtverletztung begangen hatte. Dazu hätte eine falsche Behandlung von Johannes O. natürlich gehört.

Weniger erfreulich war die Untersuchung für Weihbischof Schwaderlapp und Offizial Assenmacher, die von Kardinal Woelki, nachdem ihnen Pflichtverletzungen in jeweils acht bzw. zwei Fällen zugesprochen worden waren, mit sofortiger Wirkung ihrer Ämter entbunden wurden.

Kurios: Dem Vorgänger von Kardinal Woelki, Erzbischof Dr. Meisner, wurden insgesamt 24 Pflichtverletzungen angekreidet.

Der Fall Woelki, mit seinen vielen Vermutungen, Vorwürfen, Verbrechen, Verleumdungen und ganz besonders dem Verlassen so vieler Gläubiger aus der Kirche hat auch im Vatikan für Aufsehen gesorgt: Der Papst selbst beorderte den Kardinal Woelki im Oktober 2021 in eine Auszeit von einem halben Jahr. Dennoch wird der Kardinal wieder in seine Stelle zurücktreten dürfen, da im der Vatikan trotz allem eine juristisch weiße, wenn auch umstrittene West hat.

Persönliche Einschätzung:

Was soll man nun von so einem Fall halten? Ich wusste selbst im Vorfeld noch nicht viel über den Kölner Kardinal und auch jetzt fällt es mir schwer ein Urteil zu fällen. Klar, dem Missbrauchsskandal hat der Kardinal ja letztendlich doch angenommen, allerdings gibt es für mich zwei durchaus noch sehr heikle Punkte. Zum einen wirkt es für mich zeitweise so, als stünden in dieser Münchner Untersuchung Dinge, die wohl dem Bistum mehr als unangenehm sind. Anschließend hatte ich auch die Vermutung, dass man, bevor man die Studie absetzte, noch unbedingt das Gütesiegel des Betroffenenbeirats bräuchte, der ja, wie bereits gesagt, emotional zu dem Thema in Verbindung steht. Da fand ich es persönlich schon ziemlich auffällig, dass so kurzfristig ein neues Treffen angesetzt wurde, bei dem die Mitglieder des Beirats durch diese neuen Informationen eventuell überrumpelt wurden, was dann am Ende dem Bistum in die Karten gespielt hat. Dies sind allerdings nur Vermutungen, Beweise für eine direkte Instrumentalisierung des Beirats gibt es nicht.

Natürlich ist der Fall Woelkie natürlich nur die Spitze des Eisberges, dahinter verbergen sich viel tiefere Abgründe.

Die Reaktion des Papstes fand ich hier allerdings bemerkenswert gut, auch wenn Woelkie bald wieder in sein Amt zurückkehren wird.

Was mich allerdings deutlich mehr traf, ist, wie mit dem Thema der sexuellen Misshandlung allgemein umgegangen wird wurde. Als „Missbrauchsskandal“liest man hier nur ein recht faktisches Wort, allerdings stecken da so viel mehr Aspekte dahinter. Einzelne Personen wurden hier in jungen Jahren von Anhängern der katholischen Kirche missbraucht, ausgenutzt, überwältigt, traumatisiert. Solche Vorfälle prägen Menschen ein Leben lang und können Ängste, Schlafstörungen, Traumas, Vertrauensprobleme und sogar Depressionen hinterlassen, bis hin zu Schlimmerem. Dabei muss man unbedingt auch im Hinterkopf behalten, dass das Ganze von religiösen Personen gemacht wurde, was vollkommen im Gegensatz zu den christlichen Werten steht. Und als Reaktion wurden solche abscheuliche Taten dann auch noch vertuscht, unter den Tisch gekehrt, verheimlicht, sodass nun immer noch eine Reihe ungelöster Verbrechen dasteht und mit ihnen tausende missbrauchte Menschen, allein in Deutschland.

Den Eindruck das die katholische Kirche hierbei ernsthaft an den Einzelschicksalen so vieler Menschen teilgenommen hat, habe ich hierbei nicht bekommen. Und dabei sind sie doch Zeugen.

von Marius Menschick

Der nächste Artikel handelt von der Kirche in Zeiten des Nationalsozialismus.