Die katholische Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus
Jedes Jahr feiern wir am 27. Januar einen Gedenktag, um uns an die Opfer des Holocausts während des Nationalsozialismus zu erinnern. Und dabei fragt man sich bis heute immer wieder, wie es möglich war, dass vor den Augen einer ganzen Nation über 5,6 Million Juden und Staatsfeinde verfolgt, eingesperrt und umgebracht werden konnten. War es die Angst des Volkes? Hass? Unwissenheit?
Und was tat eigentlich die Kirche in dieser grausigen Zeit? Leistete sie Widerstand oder half sie womöglich sogar mit, dieses schreckliche Verbrechen zu begehen?
Man stelle sich die katholische Kirche zu Beginn der NS-Diktatur vor: Diese Kirche hatte damals schon starke Konflikte mit der evangelischen Kirche, der damals noch knapp 62% der deutschen Bevölkerung angehörten. Schon vor der Machtübernahme der Nazis kritisierten einige Kirchenmitglieder die NSDAP heftig, da die Partei bereits damals extremes Gedankengut verbreitete. Nach den Wahlen 1933 befand sich die Kirche in einer Zwickmühle. Das Zusammenspiel zwischen geistlicher und weltlicher Macht war bereits seit Jahrhunderten ein beständiges Problem. Nun stand in Deutschland eine Partei an der Spitze, die teilweise im genauen Gegensatz zu den Überzeugungen der christlichen Religion stand und die Kirche musste nun eine spannende Entscheidung treffen: Mit diesem Regime mitziehen oder Widerstand leisten?
Nun, von Seiten der evangelischen Kirche gab es innerhalb der eigenen Reihen einige Differenzen. Die Nazis planten damals eine Art Reichskirche, die besonders von einer Bewegung namens “Deutsche Christen“ begrüßt wurde, einer evangelischen Gruppierung, die sich am Führerprinzip orientierte. Als Gegenstück dazu gab es die ebenfalls evangelische „Bekennende Kirche“, die das Nazi Regime aufs Schärfste kritisierte. Hier sah man bereits auf Seite der evangelischen Gemeinde starke Differenzen, einen einheitlichen Umgang mit den Nazis gab es hier nicht. Mitglieder der katholischen Kirche hatten es aber nicht wirklich einfacher. Wie jede andere Person auch, mussten sie sich in Bezug auf die Nazis positionieren. Das ist insofern relevant, da die Kirchen natürlich als moralische Instanz galten und somit die Entscheidungen ihrer Mitglieder beeinflussten.
Allerdings gab es hier durch die katholische Kirche doch recht klare Aktionen. Papst Pius XI traf 1933 eine sowohl umstrittene als auch folgenschwere Entscheidung, indem er mit dem Wahlsieg der NSDAP ein Konkordat, in welchem zwischen kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten unterschieden wurde, unterzeichnete. Dieses Konkordat band der katholischen Kirche die Hände, wenn es darum ging, sich in Angelegenheiten des Regimes einzumischen, was in Bezug auf den Holocaust noch wichtig wurde. Im Gegenzug dazu stellten sich die Nazis nicht gegen die Kirche und gewährten ihr unter anderem weiteren katholischen Religionsunterricht an Schulen.
Immerhin unternahmen in Deutschland einige Geistliche klar etwas gegen den Nationalsozialismus, wie z.B. der Pfarrer Franz Stattelmann, der nach Predigten, in denen er die Nazis heftig kritisierte, in ein Konzentrationslager verschleppt worden ist. Er riskierte demnach dabei sein Leben, so wie viele andere Pfarrer und Kirchenmitglieder.
Dies waren jedoch meistens Einzelfälle, während von der Spitze der Kirche aus kaum etwas gegen die Nazis unternommen wurde. Und dabei sticht gerade eine Person ganz besonders hervor: Papst Pius XII. Die Meinungen zu diesem Papst könnten gar nicht weiter auseinandergehen. Die einen sehen ihn als den größten Judenretter dieser Zeit an, andere meinen, er habe, obwohl er vom Holocaust wusste, nichts gegen ihn unternommen, ja sogar einigen Nazis nach Ende des Krieges den Rücken freigehalten.
Neue Informationen zu seiner Person gab es im März 2020, als der Vatikan sich dazu entschloss, einigen Historikern Einblick in die Archive des Vatikans zur Zeit Pius XII zu gewährleisten. Mittlerweile konnten neue Erkenntnisse veröffentlicht werden. Demnach sollen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus rund 15.000 Bittschriften an den Papst geschickt haben, in denen sie von ihrer Verzweiflung berichteten und den Papst in verschiedenen Angelegenheiten um Hilfe baten. Nicht alle hätten damals den Papst erreicht, dennoch „hunderte und tausende“, so der Kirchenhistoriker Hubert Wolf.
Diese Tatsachen werfen Fragen auf, z.B. warum Pius XII den Holocaust damals nicht öffentlich verurteilte und sich nicht den Protesten der Alliierten gegen den Holocaust anschloss, obwohl er wohl offensichtlich vom Holocaust wusste. Nun, das könnte mehrere Gründe haben. Zum einen besteht die Theorie, dass einige antisemitische Mitarbeiter rund um den Papst ihm Bittschriften vorenthielten, sodass Pius XII gar nicht so viel gewusst haben kann.
Der Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann sieht zum anderen das Konkordat zwischen der Kirche und dem Staat, welches sein Vorgänger Papst Pius XI abgesegnet hatte, als möglichen Verursacher des Schweigens von Papst Pius XII:
„Weil in diesem Konkordat klar zwischen kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten unterschieden wurde, sah sich der Papst nur für kirchliche Themen zuständig. Eine Einmischung in politische Themen und die Judenfrage wurde damals als rein politische Frage verstanden, wäre ein Konkordatsbruch gewesen, den Pius XII nicht riskieren wollte“. Dieses Verhalten ist für Liebmann insofern unverständlich, da das Verhältnis von Kirche zum Judentum weitaus mehr als eine politische Frage sei. Bekanntlich hängen beide Religionen in ihren Überzeugungen eng zusammen, es finden sich etliche Parallelen, aber seit Jahrhunderten auch Vorurteile und Hass. Besagte Theorie setzt natürlich voraus, dass der Papst definitiv etwas vom Holocaust gewusst haben musste, was heutzutage nur noch die wenigsten Kirchenhistoriker anzweifeln.
Allerdings gibt es auch einige Theorien, die besagen, der Papst hätte unterm Strich in mehreren Fällen knapp eine Million Juden gerettet, den Großteil davon, indem er ihnen Unterschlupf gewährte, sie versteckte oder auch absichtlich zum Holocaust schwieg, um weiteres Wüten der Nazis zu vermeiden, nachdem er einen holländischen Fall verfolgt haben soll, in dem Priester gegen den Holocaust protestierten und die Deportationen danach sogar noch gestiegen waren. Dafür spricht beispielsweise ein Telegramm Pius´ an Reichsverweser Horthy, demzufolge mehr als 200.000 ungarische Juden vor der Deportation bewahrt worden seien.
Die Meinungen zu diesem Papst sind dermaßen unterschiedlich und widersprüchlich, dass ich hier noch einmal deutlich betonen möchte, dass die eben genannten Punkte nur Theorien sind. Klarheit werden wohl bald besagte Studie zu den Akten innerhalb des Vatikans bringen.
Fest steht, dass der Papst sich, wenn überhaupt, nur in einzelnen Fällen auf Seite der Juden stellte. Öffentlich erwähnte er den Holocaust, trotz seines ziemlich sicheren Wissens darüber, nie. Ebenfalls ganz oben auf der Prüfliste der Kirchenhistoriker in den Vatikanarchiven ist die sogenannte Rattenlinie. Nach Ende des zweiten Weltkrieges soll ein Großteil der verantwortlichen Nazis über den Vatikan nach Südamerika geflohen sein, mit vollem Wissen und unter Mithilfe der Kirche. Die Kirchenspitze habe nämlich die Nürnberger Prozesse, in denen sich die Nazis für ihre Straftaten vor Gericht verantworten mussten, als Racheakt angesehen, was aus christlicher Sicht nicht kompatibel war. Ein bekannter Geflüchteter der Rattenlinie ist Erich Priebke: Er konnte sich nach Südamerika absetzen, weil er von Mönchen versteckt worden ist, obwohl er für die Erschießung von 335 Zivilisten in Rom verantwortlich war. Warum, ist bis heute fraglich.
Meinung: Was kann man von einer Kirche in so einer Situation erwarten? Als moralische Instanz finde ich es höchst fragwürdig, dass sich die Kirchenspitze nie klar gegen die Nazis gestellt hat. Da hat es schon vereinzelte Pfarrer und Angehörige gebraucht, um wirklich etwas zu bewegen. Hierbei stellt sich natürlich auch die Frage, ob die katholische Kirche damals überhaupt im Stande gewesen wäre, etwas gegen den Holocaust zu unternehmen, ihn gar zu verhindern. Und hierbei finde ich gerade das Verhalten der beiden Päpste höchst interessant. Da Papst Pius XII erst 1939, als die Nazis bereits unfassbar mächtig waren, eingesetzt wurde, ist es schwierig zu sagen, dass er den Holocaust hätte stoppen können, gerade weil dem auch das Konkordat, welches sein Vorgänger unterzeichnet hatte, im Weg stand. Hierbei lässt sich natürlich spekulieren, welche Auswirkungen wohl ein Konkordatsbruch gehabt hätte, was also passiert wäre, wenn sich Papst Pius XII öffentlich gegen den Holocaust oder das Regime geäußert hätte.
Ich persönlich halte es dabei für durchaus möglich, dass er innerhalb Deutschlands einige Menschen hätte wachrütteln können, die Kirche war auch zu diesem Zeitpunkt noch in der Lage, Einfluss auf die Meinungen der Leute zu nehmen, auch wenn sie sich dadurch mit dem Regime angelegt hätte. Aber man muss natürlich auch unterscheiden, was die katholische Kirche gegen den Nationalsozialismus an sich, und den Holocaust hätte tun können. Und auch wenn er die Folgen des Nazi-Regimes in den Ausmaßen des Holocausts und des Zweiten Weltkrieges wohl damals noch nicht hatte voraussehen können, finde ich die Entscheidung des Papstes Pius XI, das Konkordat zu unterzeichnen, höchst fragwürdig. Damit hat er den Nazis sämtlichen Spielraum gegeben und die Kirche von der gesamten Verantwortung freigestellt, da sie danach eh nicht mehr viel ausrichten hätte können, ohne sich mit den Nazis anzulegen.
Demnach fällt meine persönliche Beurteilung folgendermaßen aus: Die beste Chance den Holocaust zu verhindern, hätte die Kirche gehabt, wenn sie sich erst gar nicht mit den Nazis eingelassen hätte, sondern ihren eigenen Prinzipien und Werten treu geblieben wäre. Ab der Unterzeichnung des Konkordates von 1933 wurde es immer schwieriger, die Nazis an ihren Vorhaben zu stoppen, auch wenn es nie zu spät ist für sich selber einzustehen.
von Marius Menschick
Der nächste Beitrag zur Serie „Im Namen des Herrn“ erscheint am 25. Mai.
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