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Fahrt nach Griechenland

„Was machen wir jetzt?“ – „Angucken!“ Diese Antwort eines Schülers auf die Frage eines anderen Teilnehmers während der Griechenlandfahrt hat geradezu eine antike lakonische Kürze. Man könnte meinen, dass die besuchten Ausgrabungsstätten und Museen keine weiteren Ausführungen erfordern: „Angucken“ reicht, Staunen, Freude und nachhaltige Eindrücke stellen sich dann schon von selbst ein. Doch der Reihe nach! 

Nachdem die Griechenlandfahrt in den Jahren 2020 und 2022 wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte, machten sich dieses Mal 49 Schülerinnen und Schüler der 9. – 11. Klassen, begleitet von Frau Schmitt, Herrn Berchtold und Herrn van Vugt, vom 23.05. bis zum 02.06.2023 auf die Reise. Eine große Gruppe mit jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen für die gemeinsame Fahrt, aber mit demselben Ziel: Orte, Landschaften, Heiligtümer und Tempel, die sie bisher nur aus dem Lehrbuch und dem Unterricht kannten, wollten die Schülerinnen und Schüler vor Ort mit eigenen Augen sehen und gleichzeitig auch erleben, wie sich das antike Hellas zum modernen Griechenland verändert hat. Dafür haben einige Unermüdliche sogar zusätzlich in einem mehrstündigen Kurs unter der Anleitung einer engagierten Schülermutter erste Schritte unternommen, um Neugriechisch zu lernen. An Frau Tsentikopoulou geht dafür unser herzlicher Dank, ebenso wie an den Förderverein des Karlsgymnasiums, der mit einer großzügigen Unterstützung dazu beigetragen hat, dass der Reisepreis für alle Teilnehmer nicht zu teuer wurde. 

Pünktlich um Mitternacht begann unsere Fahrt an der Schule. Ob es daran lag, dass eine Nacht im Bus nicht bequem ist oder dass das Reisefieber so groß war: Nur wenige fanden bis Ancona Schlaf und Ruhe. Von dort sollte uns eine Fähre nach Griechenland übersetzen. Das ist klimaschonender als ein Flug und die Überfahrt bietet gute Gelegenheit, den fehlenden Schlaf nachzuholen. Leider hatten wir auf der Hin- und der Rückfahrt etwas Pech: Unsere Abfahrtszeiten waren jeweils um einige Stunden verschoben worden. Das italienische Eis in Ancona entschädigte immerhin für die Wartezeit, bis wir – begleitet von mehr als 100 Harley-Davidson-Bikern, die unterwegs zur „Super Rally“ am Strand von Igoumenitsa waren – endlich an Bord gehen konnten. Nach der Landung in Igoumenitsa wurde es ernst: Unser Busfahrer Osmir brachte uns nach Dodona, wo sich in der Antike das berühmteste Zeusorakel befand. Die kleine Ausgrabungsstätte war ein schöner Einstieg: Ein durch den Regen des Frühjahres sattgrünes Gelände mit einer mächtigen Eiche, aus deren Rauschen wir für die weiteren Tage gute Prophezeiungen heraushörten.

Weiter ging es durch die Berglandschaft von Epirus nach Kalambaka, wo die Meteora-Klöster auf hohen Sandsteinformationen in der Luft zwischen Himmel und Erde thronen.

Da wir verspätet waren, drohte die Besichtigung eines dieser Klöster auszufallen. Wir hatten aber nicht mit Ketis Hartnäckigkeit gerechnet: Per Handy und mit Hilfe ihres Vaters setzte sie alle irdischen und himmlischen Hebel in Bewegung, so dass wir doch noch in Agios Stefanos eingelassen wurden und dort sogar eine außerplanmäßige Führung durch eine der Nonnen bekamen. Am nächsten Morgen führte uns eine längere Busfahrt zu den Thermopylen. Der Ort liegt heute an einer breiten Autostraße, die das historische Schlachtfeld durchschneidet, so dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass hier vor 2500 Jahren eines der wichtigsten Ereignisse der griechischen Geschichte stattgefunden hat. Beeindruckt hat die Schülerinnen und Schüler wohl eher ein amerikanischer Soldat, der in der Hitze mehrere Runden um den Grabhügel der Spartaner lief und dann eine private Gedenkzeremonie für vier seiner gefallenen Kameraden durchführte. Am Nachmittag in Delphi überraschte uns zuerst Regen, dann sogar ein schweres Gewitter. Guten Schutz bot das Museum, in dem wir mit den archaischen Statuen von Kleobis und Biton, dem Schatzhaus der Siphnier oder der Bronzestatue des Wagenlenkers eindrucksvolle Exponate griechischer Plastik aus verschiedenen Epochen kennenlernen konnten. Das Ausgrabungsgelände von Delphi erkundeten wir am nächsten Morgen wieder in angenehmem Sonnenschein.

Insgesamt konnten wir auf der ganzen Fahrt alle Ausgrabungsstätten in Ruhe genießen. Das lag auch daran, dass alle Schüler ohne Proteste jeden Morgen (fast) pünktlich zur Abfahrt oder Besichtigung bereit waren; keine Selbstverständlichkeit in den Pfingstferien.  

Das Pfingstwochenende verbrachten wir in Athen. Die Stadt hat sich inzwischen wieder gut von den Jahren der wirtschaftlichen Rezession erholt und bot den Schülerinnen und Schülern ein buntes Gemisch aus zahlreichen Gegensätzen. So sahen wir aufwändig restaurierte antike Bauwerke, aber auch verfallende Gebäude mitten im Zentrum, elegant gekleidete Einheimische und Touristen in den Kafeneia, aber in manchen Straßenecken und Parkanlagen Obdachlose mit wenigen Habseligkeiten in ihren Plastiktüten, wir waren ununterbrochenem Verkehrslärm am Omonia- oder Monastiraki-Platz und in der Athinas-Straße ausgesetzt, genossen aber erhabene Ruhe auf der antiken Agora. Einer der Höhepunkte unseres Aufenthaltes in Athen war sicherlich der Besuch des Akropolismuseums und der Akropolis selbst. Dort war die Aufmerksamkeit allerdings nicht mehr bei allen gleich groß: Parthenon, Erechtheion und Niketempel sind Höhepunkte der klassischen Baukunst aus der Zeit des Perikles, aber was gilt das schon, wenn zur selben Zeit in Deutschland die Meisterschaft der Fußballbundesliga entschieden wird? Viele andere Besucher werden sich wohl gewundert haben, als ein Teil unserer Gruppe plötzlich mitten auf dem Burgberg mit teutonischem Gebrüll zu Jubeltänzen ansetzte: Ein Wunder war geschehen, und alle Bitten an die olympischen Götter waren wider jede Hoffnung in letzter Minute doch noch erhört worden!

Nach einem kurzen Halt am Isthmos und nach der Besichtigung von Korinth entschädigte der phantastische Blick von Akrokorinth für den steilen Aufstieg: „Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken.“ Inzwischen waren wir auf der Peloponnes angekommen, der Landschaft Griechenlands, die alle Schülerinnen und Schüler durch die griechischen Mythen wohl am besten kennen. So erinnert Mykene an die Orestie und an den Atridenfluch, Nemea an die Taten des Herakles, Epidauros an den Heilgott Asklepios und an viele Tragödien, die im dortigen Theater heute noch regelmäßig im Sommer aufgeführt werden. Unser Quartier in Tolon, direkt am Meer gelegen, bot am späteren Nachmittag gute Gelegenheit zur Erfrischung, stets unter den wachsamen Augen der beiden „Baywatch-Boys“ aus unserer Gruppe.  

Auf dem Weg von Tolon nach Olympia war unser Ziel die antike Siedlung von Messene, deren ausgedehnte Ausgrabungen den besten Eindruck einer griechischen Stadt im 4. Jh. v. Chr. vermitteln. Hier musste unser Busfahrer Osmir Höchstleistungen vollbringen, da sein großer Bus für die engen Bergstraßen wenig geeignet war. Aber auch dieses Problem meisterte er – wie die gesamte Fahrt – souverän und sehr sicher. Mit Olympia war auch schon das letzte Ziel unserer Reise erreicht: Durch einen glücklichen Zufall fast allein im Museum konnten wir in aller Ruhe die berühmten Giebel des Zeustempels, die Metopen mit den Taten des Herakles und den Hermes des Praxiteles betrachten.

Olympia war einst einer der wichtigsten panhellenischen Orte, an dem sich Menschen aus dem gesamten griechisch geprägten Kulturraum versammelten, um sich zu den Wettkämpfen, den Opfern für Zeus und zum geistigen Austausch zu treffen. Heute treffen hier am späteren Vormittag die modernen Kreuzfahrer ein und überschwemmen geradezu die Ausgrabungsstätte. Mitunter kuriose Szenen kann man dann im Stadion sehen, wenn die antike Laufbahn auch diejenigen, die offensichtlich schon länger keinen Sport mehr getrieben haben, zu einem Sprint verleitet. Dazu zählten natürlich nicht unsere Schülerinnen und Schüler. Manche von ihnen ließen es sich nicht nehmen, nach Nemea auch hier ihren zweiten Stadionlauf zu absolvieren.

Von Olympia nach Patras – langes Warten auf die Fähre und kurzes Treffen mit einer Schülergruppe aus Amberg, die ebenfalls etwa zur selben Zeit eine Griechenlandfahrt unternommen hatte – dann ging es auch schon von Ancona zurück nach München, wo alle Teilnehmer am frühen Morgen von ihren Eltern wohlbehalten in Empfang genommen wurden. Die Zeit der Reise ist schnell vergangen, die große Gruppe der Griechisch-Schüler des Karlsgymnasiums hat über die drei Jahrgangsstufen hinweg gut zueinander gefunden und sich besser kennengelernt. Es bleibt zu hoffen, dass die vielen schönen Eindrücke einen kleinen Beitrag leisten werden, diese Fahrt der „Griechen“ zu einem unvergesslichen Erlebnis in ihrer Schulzeit werden zu lassen